Du bist Deutschland?
Schauspiel Köln eröffnete die Spielzeit mit sechsstündigem Theatermarathon
Mit der Pisa-Studie hatte das nichts zu tun. "DU=D.T.E.A.L.N.H.U.C.D." hieß die Multimedia-Marathonperformance, mit der das Schauspiel Köln am Samstag die Spielzeit eröffnete. Allerdings galt diese Schreibweise nur für die türkis gekennzeichnete Zuschauergruppe. Für jedes der sieben weiteren Trüppchen wurde "Deutschland" wieder anders buchstabiert - korrekt stand es, ganz hintersinnig, nur im Programmheft. Wer gemäß dem Spielzeit-Motto "Deutschland zum Sechzigsten" erfahren wollte, was unser Land derzeit im innersten zusammenhält, brauchte Kondition. Fast sechs Stunden lang ging es in einem Parcours durch die Räume des Schauspielhauses und angrenzende Gebiete. Damit im Wirrwarr der elf Buchstaben-Stationen keiner schlappmachte, bekam man zum Einstieg nicht nur Ablaufplan und Programmheft ausgehändigt, sondern auch Wasserflasche, Müsliriegel und Regencape.
Los ging es für das Plenum im Saal des Schauspiels, wor Kuratorin Claudia Plöchinger zur Begrüßung gleich in einen gut gelaunten Dialog mit Sigmund Freud verwickelt wurde - der erste Auftritt von Puppenspielerin Suse Wächter. Die begegnete einem später noch einmal bei einer herrlich schrägen Karaoke-Show im düsteren Magazin. Da schwangen Fidel Castro und Che Guevara zusammen die Hüften zu Kraftwerks "Model", Elfriede Jelinek glotzte im Schlafanzug TV und Hitler jammerte "Ich war noch niemals in New York" - mehr oder weniger "Helden des 20. Jahrhunderts", wie Suse Wächters Programm heißt.
Auch mehr oder weniger deutsch - denn nicht bei allen Etappen war der rote Themen-Faden deutlich zu greifen. Ausgehend von der Image-Kampagne "Du bist Deutschland", die zuerst 2005 über die Nation schwappte, wollte Plöchinger hinterfragen, was unsere kollektive Identität denn eigentlich ausmacht - und fand Antworten unterschiedlichster Art. Furios und komisch bis zur Schmerzgrenze entlarvte etwa der Berliner Jürgen Kuttner in seinem "Videoschnipsel-Vortrag" absurde Spießermomente in deutschen 60er-Jahre-Schlagern: Etwa Margret Fürers (!) zackige Hippie-Kritik im "Gammel-Shake" oder Cindy und Berts Version des Black-Sabbath-Hits "Paranoid" unter dem Titel "Der Hund von Baskerville" inklusive hechelndem Pekinesen.
Weniger analytisch geriet der Zug mit dem Schlager-LKW von The Living Music Box & Viktor Marek, dem zumindest die Gruppe "türkis" dennoch gut gelaunt durch menschenleere Geschäftsstraßen folgte - wen wundert's in dieser Stadt...
Vom Trio schindelkilliusdutschke wurden die mit Stimmgabeln ausgestatteten Zuschauer auf der Bühne zur gemeinsamen Stimmabgabe von heimischen Klassikern à la "Hänschen klein" gebeten. Verspielt, aber überzeugend auch die Improvisation von Gintersdorfer/Klaaßen in der Schlosserei: Nicht einfach, für die Akteure aus Karin Beiers Inszenierung der "Nibelungen", dem "elfenbeinküstischen" Tänzer Franck Edmond Yao das befremdliche deutsche Heldentum verständlich zu machen...
Mit Hofmann&Lindholms Schwarz-weiß-Film "Notiz/Wunderblock" konnte man auf der Probebühne frappierend einfach über neueste deutsche Geschichte, über Erfahrung und Erinnerung nachdenken.
Dafür geriet die aufwändig inszenierte, aber etwas nach Agitprop riechende Doppel-Performance von Otmar Wagner und Armin Chodzinski auf dem Vorplatz zum Schwachpunkt des Abends - dabei sollte es hier um Ökonomie-Theorie und Grenz-Erfahrungen auch mal ernsthaft politisch werden. Doch keine Chance: Bei Jacques Palmingers "Lied für alle" (Text: "Lied für alle") sangen unterm runden Mond am Ende auch alle zusammen mit. Und wussten, wenn vielleicht nicht mehr über Deutschland, dann aber doch etwas übers Schauspiel Köln: Du bist Theater - und zwar eines, das mit Spielfreude und Fantasie immer noch Lust auf mehr macht.